WhatsAppartement Teil 4: WhatsApp Wegsperren

Ein WhatsApp Medienkunst-Projekt der blinkgestalten

Die blinkgestalten tendieren als Medienkünstler zu oft übertrieben langen Phasen des reflektierens über neue Technologien. Nach einer fünfjährigen Studienphase fühlen sich die blingestalten nur gewappnet, um sich der Herausforderung WhatsApp zu stellen und präsentieren ihr neuestes Projekt „WhatsAppartement“.

In der vierten Folge unserer „WhatsAppartement“ Blog-Serie erfahren Sie, warum es nicht ausreicht, WhatsApp in der Prärie zu parken – man sollte WhatsApp wegen hohem Suchtpotential auch gut wegsperren.

Wir blinkgestalten lieben es Menschen im Alltag zu beobachten. In den letzten fünf Jahren mussten wir dabei feststellen, dass sich eine Reihe von Menschen extrem schrullige Verhaltensauffälligkeiten zugelegt haben.

Wir langweilen Sie hier nicht mit den Details, weil diese auffälligen Menschen in der Presse schon ausreichend behandelt wurden. Wir listen hier nur die allseits bekannten Störungen auf:

  • Minutenlanges Starren auf das Smartphone bei fast vollständig gelähmtem Körper und unkontrolliert zuckenden Fingern
  • Smombie-Verhaltensmuster
  • Unvermitteltes Stehenbleiben an den unmöglichsten Orten (auf Treppen, Straßen, in Eingängen oder am Ende von Rolltreppen)
  • Heroische Versuche von Fußgängern mit Smartphone, klar überlegene Verkehrsteilnehmer (Auto, LKW, Züge) mit dem eigenen Körper zu stoppen – siehe auch Smombie

Besonders beeindruckt sind wir von der Macht des Smartphones, die manche Menschen dazu zwingt, sich im Abstand von 40 – 60 Sekunden immer wieder mit dem Gerät zu befassen. Folgende Szene beobachten wir dauernd in der U-Bahn:

  1. auf dem Smartphone herumtexten
  2. Smartphone ausschalten und in die Tasche stecken
  3. 40 – 60 Sekunden Zeit vergeht
  4. Gerät wieder aus der Tasche holen
  5. Weiter mit 1.

Man steigt nach 15 Minuten Fahrzeit oft nur widerwillig aus der U-Bahn, weil man sich fragt, ob dieses Schauspiel beliebig lange so weitergehen würde.

Inzwischen haben wir gelernt, dass all dieses skurrilen Verhaltensstörungen ganz leicht erklärbar sind (siehe dazu die hervorragende Arte Web-Doku „Dopamin“ ). Egal um welche Social Media App es geht, es sind immer die gleichen Wirk-Prinzipien, die im Extremfall zu ungezügeltem Suchtverhalten wie im obigen Beispiel führen können.

Social Media Apps erzeugen sozialen Druck

In den Social Media Apps vernetzen wir uns mit unseren Freunden, Bekannten und Verwandten. Weil der Mensch ein soziales Lebewesen ist, sucht er auch im Umfeld von Social Media Apps nach sozialer Anerkennung und Bestätigung. Zudem sind wir immer bemüht einer Gruppe anzugehören, was wir dadurch zum Ausdruck bringen, dass wir Gruppenmitglieder bestätigen.
Um all diese sozialen Ziele zu erreichen, müssen wir dauernd in Verbindung mit all unseren Kontakten bleiben und kommunizieren. Messages von unseren Kontakten müssen wir stets beantworten, um positives Feedback zu geben und die Gruppenzugehörigkeit zu festigen.

So gesehen ist es kein Wunder, wenn 60% der Jugendlichen täglich zwei oder mehr Stunden in Sozialen Netzwerken zubringen, bis alle sozialen Kontakte ausreichend mit Messages versorgt sind.


Unwichtiges Detail #8: WhatsApp und sozialer Druck

Der Mensch ist ein soziales Lebewesen und strebt daher die Zugehörigkeit zu einer Gruppe an. Das ist wohl dadurch begründet, dass sich im Laufe der Jahrtausende herausgestellt hat, dass Zugehörigkeit zu einer Gruppe ein evolutionärer Vorteil für den Menschen ist (Stichwort: gemeinsame Jagd nach dem Mammut). In manchen Naturvölkern ist noch heute der Ausschluss aus der Gruppe gleichbedeutend mit einem Todesurteil.

Hierzu einige Fakten zu sozialem menschlichen Verhalten:

  • In der Sozialkognitiven Lerntheorie beschreibt Albert Bandura, dass sich der Mensch in eine Gruppe integriert, indem er durch Nachahmung lernt.
  • In der Theorie des sozialen Vergleichs beschreibt Leon Festinger, dass die Gruppe erwünschtes Verhalten durch positive Rückmeldungen bestätigt.
    Der Mensch ist in der Gruppe stets darum bemüht, Meinungsdiskrepanzen zu reduzieren um den Zusammenhalt der Gruppe zu stärken. Er sucht daher nach Zustimmung, oder versucht Meinungsunterschiede durch Überzeugung zu überwinden.
    Die Gruppenmitglieder können zudem in der Gruppe ihr Selbstwertgefühl aufbauen, indem sie sich mit anderen Gruppenmitgliedern vergleichen.

In der echten Welt (AFK) kann sich dieses soziale Verhalten bei gemeinsamen Treffen im täglichen Miteinander ganz natürlich entfalten.

Wird das gemeinsame persönliche Treffen durch Social Media Apps ersetzt, dann können nur noch die Kommunikationskanäle der App für den sozialen Austausch in der Gruppe genutzt werden – im Fall von WhatsApp sind das Messages und Bilder.

  • Mit Messages und Bildern können wir Gruppenmitglieder nachahmen, indem wir ähnliche Inhalte posten.
  • Positive Rückmeldungen geben wir durch Messages oder lustige Emojis. Meinungsunterschiede klären wir durch den Austausch von Messages.
  • Durch das andauernde Posten von Messages und Bildern, können wir uns stets mit den anderen Gruppenmitgliedern vergleichen.

Social Media Apps wie WhatsApp geben uns also alle technischen Mittel, um soziales menschliches Verhalten umzusetzen. Obwohl wir uns nicht mehr persönlich mit anderen Menschen treffen, sind wir der Meinung dass bei WhatsApp echte menschliche Interaktion stattfindet. Weil sich WhatsApp wie eine menschliche Gruppe anfühlt, fühlen wir unbewusst auch den Druck, dass wir per WhatsApp mit der Gruppe kommunizieren müssen.


Social Media Apps fördern Suchtverhalten

Unser Gehirn motiviert uns zu sozialem Verhalten. Wenn wir mit anderen kommunizieren fühlen wir uns gut, und wenn unsere Kontakte uns positives Feedback geben oder nette Messages oder Fotos schicken, dann empfinden wir das als Geschenk. Beim Erhalt von Geschenken schüttet das Gehirn das Glückshormon Dopamin aus, was uns einen kleinen positiven Kick gibt. Wir wollen mehr davon.

Weil soziale Interaktion uns mit diesen Dopamin Kicks versorgt, kommunizieren wir eher mehr als weniger. Insbesondere wenn unser normales Leben nur unerfreuliches zu bieten hat, dann flüchten wir uns gerne in die sozialen Netzwerke, wo wir uns schnell positive Kicks abholen können.


Unwichtiges Detail #9: WhatsApp und Suchtverhalten

Unser Gehirn hat sich durch die Evolution so entwickelt, dass es soziales Verhalten fördert, indem es zum Beispiel bei sozialer Interaktion Dopamin ausschüttet.

Dopamin zählt zu den „Glückshormonen“, so dass wir uns bei Ausschüttung von Dopamin gut fühlen. Das Dopamin-System wird bereits mit dem 12. Lebensjahr aktiv. Bei Dopamin tritt keine „Sättigung“ ein, weshalb der Mensch nie genug davon bekommen kann. Dopamin hat somit Suchtpotential.

Unser Gehirn schüttet Dopamin auch bei der Kommunikation in WhatsApp aus, weil sich Messages wie echte menschliche Interaktion anfühlen. Besonders viel Dopamin wird ausgeschüttet, wenn Messages oder Bilder bei uns sehr starke Emotionen auslösen.

Im Alltag kann man das gut an Mitmenschen beobachten, die ihre Smartphones beim Texten angrinsen. Diese Menschen grinsen nur als mimische Antwort auf eine emotionale Message. Sie grinsen nicht um ihrem Smartphone zu signalisieren, dass sie sich gut fühlen. Das Smartphone interessiert sich (noch) nicht für die Mimik von Menschen.

Noch mehr Dopamin wird ausgeschüttet, wenn eine Message oder ein Bild als besonders wertvoll empfunden wird. Hat sich der Versender der Message viel Mühe bei der Herstellung des Bildes gemacht, oder viel Zeit in eine Message investiert, dann empfinden wir das Bild oder die Message als Geschenk.

Wenn wir mit WhatsApp kommunizieren, dann ist also auch immer das Suchtmittel Dopamin im Spiel. Je mehr Dopamin im Spiel ist, desto größer ist die Versuchung immer weiter Messages und Bilder zu versenden.

Besonders wenn Messages und Bilder sehr emotional sind, oder sich gar wie Geschenke anfühlen, dann ist ein hohes Maß an Selbstkontrolle erforderlich um das Smartphone wegzulegen und mit dem Texten aufzuhören.


Social Media Apps fördern Suchtspiralen

Wir senden unseren Kontakten immer neue Messages, in der Hoffnung wieder neue Messages als Gegengeschenk zu bekommen. Weil alle das Spiel mitspielen, schicken wir uns mit immer höherer Frequenz Messages.


Unwichtiges Detail #10: WhatsApp und Suchtspiralen

Social Media Apps wie WhatsApp zeigen uns eindrucksvoll wie man sozialen Druck so mit Suchtverhalten verheiraten kann, dass der Mensch kaum noch der Versuchung widerstehen kann immer weiter zu kommunizieren.

Besonders Jugendlichen fällt es schwer, dieser Versuchung zu widerstehen. Jugendliche sind einerseits emotional instabiler als Erwachsene, so dass sie impulsiver auf emotionale Messages reagieren. Die Fähigkeit zur Impulskontrolle und zum Treffen von reflektierten Entscheidungen ist erst mit dem 20. Lebensjahr voll ausgebildet.

Das ergibt eine fatale Kombination: das Dopamin Belohnungs-System ist bereits ab dem 12. Lebensjahr aktiv, die volle Selbstkontrolle funktioniert aber erst im Alter von 20 Jahren – das ergibt potentiell 8 Jahre ungezügelten Dopamin-Konsum.

Besonders problematisch sind Konstellationen die zu ungebremsten Suchtspiralen führen. Einige Faktoren begünstigen das Enstehen von solchen Suchtspiralen:

  • Inzwischen ist es üblich, dass das Smartphone für uns jederzeit greifbar ist. Manche Benutzer halten das Smartphone sogar ständig in der Hand.
  • Die Benutzung des Smartphones ist für viele zum alltäglichen Ritual geworden. So wird das Smartphone z.B. immer direkt nach dem Aufwachen geprüft, oder man prüft bei Wartezeiten (z.B. an der Haltestelle) immer seine WhatsApp Nachrichten.
  • B.J. Fogg erklärt menschliches Verhalten mit seinem Verhaltensmodell. Dieses Modell besagt, dass der Mensch immer dann aktiv wird, wenn er motiviert ist, über die nötigen Fähigkeiten für die Aktivität verfügt, und wenn es einen Auslöser für die Aktivität gibt.
  • Manche WhatsApp Messages oder Bilder fühlen sich für uns an wie Geschenke. Marcel Mauss hat in seinem Essay „Die Gabe“ untersucht, warum es eine soziale Norm ist, dass ein Geschenk ein Gegengeschenk erfordert (Reziprozität). Er kam zu dem Schluss, dass es sich bei Gaben aus einer Mischung von Personen und Sachen handelt. Schickt mir jemand eine aufwendige Message, dann steckt darin also auch ein Teil der Person, weshalb ich die Message als wertvoll empfinde. Die Schenkökonomie erfordert daher zu jedem Geschenk ein Gegengeschenk.

Damit haben wir jetzt alle Elemente, um uns eine WhatsApp-Suchtspirale zu bauen.

Zunächst brauchen wir eine Motivation für das Benutzen von WhatsApp. Wir haben gleich mehrere Motivationen:

  • Sozialer Druck
  • Soziale Interaktion (Dopamin)
  • Positive Emotionen durch Messages (mehr Dopamin)
  • Messages, die sich wie Geschenke anfühlen (noch mehr Dopamin)

Hinzu kommt eine weitere motivierende Kraft: FOMO. Bei FOMO handelt es sich nicht um eine positive Motivation, sondern um eine Angst, die wir vermeiden wollen: die Angst etwas Wichtiges in WhatsApp zu verpassen.

Nach dem Verhaltensmodell brauchen wir nun noch die Fähigkeit, um per WhatsApp zu kommunizieren. Da wir das Smartphone ständig bei uns tragen, sind wir jederzeit in der Lage zu kommunizieren.
Bei WhatsApp muss unser Kommunikationspartner nicht einmal verfügbar sein – wir können rund um die Uhr kommunizieren.

Das letzte fehlende Element ist der Auslöser für die Aktivität. Wir haben bei WhatsApp gleich mehrere Auslöser:

  • Unsere Gewohnheiten (nach dem Aufwachen, bei Wartezeiten, …)
  • Eintreffende WhatsApp Messages (die uns dazu verleiten, dass wir sie sofort lesen)
  • Messages, die sich wie Geschenke anfühlen (die wir mit Gegengeschenken beantworten müssen)

Die endlose Suchtspirale entsteht nun ganz automatisch, weil auf jede WhatsApp Message eine Antwort des Gesprächspartners kommt, und weil auf Gegengeschenke wieder weitere Geschenke folgen.

Aus dieser Spirale kann man nur durch starke Willenskraft ausbrechen. Häufig sind die Dopamin-Kicks oder unsere Rituale einfach stärker als unser Wille. Bei Gewohnheiten kommt dazu, dass die Verlustaversion es dem Menschen schwer macht, liebgewonnene Gewohnheiten wieder aufzugeben.

Das Endergebnis ist der Zustand den wir heute sehen: WhatsApp Messages werden typischerweise innerhalb von 10 Minuten beantwortet. Das ist ein klares Indiz dafür, dass viele von uns in der Dopamin-Suchtspirale gefangen sind.
Inzwischen ist diese kurze Antwortzeit sogar zur sozialen Norm geworden – zu späte Antworten, werden als unhöflich empfunden („Ich habe doch gesehen, dass Du online bist, warum hast Du nicht geantwortet?“)


Wie haben die blinkgestalten nun diese Erkenntnisse bei WhatsAppartement verarbeitet? Kurz zusammengefasst: Finger weg vom Smartphone und Deckel drauf!

Soll heißen: Wir vermeiden wegen des Suchtpotentials einfach jeglichen direkten Kontakt mit der WhatsApp App. Es ist wie mit einer Schüssel Süßigkeiten: wenn sie weit weg steht und der Zugriff schwer möglich ist, dann gibt es auch kein Problem.

Unser WhatsApp Smartphone steht in einer Vitrine an einem anderen Ort. Wenn wir unsere Messages prüfen wollen, dann müssen wir erst dort hingehen. Nachrichten mit hoher Frequenz checken und schreiben geht so nicht, wir können das Smartphone übrigens nicht einmal berühren, weil die Vitrine einen Deckel hat. Wir bedienen WhatsApp von außen per Maus und Tastatur im Browser. Unsere Maßnahmen sind damit der Tod der WhatsApp Suchtspirale.

Die Maßnahmen klingen übertrieben, sind aber unserer Ansicht nach der Bedrohung angemessen. Zugegeben, wir schießen oft spektakulär übers Ziel hinaus.

Bei WhatsAppartement behandeln wir Dopamin so, als ob es ein Kontaktgift wäre. Wir ziehen damit eine Parallele zum Umgang mit anderen bekannten Suchtmitteln: Schnaps und Zigaretten stehen im Supermarkt schließlich auch in versperrten Vitrinen. Was bei Alkohol und Nikotin gut funktioniert, kann auch bei Dopamin nicht schaden.

Natürlich haben wir bei unserer Installation WhatsAppartement auch noch den Elektrohasen ins Spiel gebracht. In der ersten Ausbaustufe ist der Elektrohase noch rein passiv und liest WhatsApp Messages. Das ist eine vorbeugende Maßnahme, denn bald wird die Kritik kommen, dass wir keine Messages lesen. Wir werden bei aufkommender Kritik darauf hinweisen, dass alle Messages natürlich schon gelesen werden – wir lesen sie lediglich nicht selbst und nicht sofort.

In der nächsten Ausbaustufe von WhatsAppartement soll sich der Elektrohase dann auch aktiv in Gespräche einbringen. Sobald das der Fall ist, werden wir mit Spannung beobachten, ob wir bei den Antwortgeschwindigkeiten in neue Dimensionen vordringen können. Bisher gelten bei WhatsApp Antwortzeiten von 5 Minuten als relativ schnell.

Aus technischer Sicht kann der Elektrohase innerhalb von Millisekunden antworten – 5 Minuten warten auf Antworten wären daher aus unserer Sicht viel zu lange. Vielleicht müssen wir bald mal ein ernstes Wörtchen mit unseren langsamen Kontakten reden, warum sie sich immer so lange mit dem Schreiben von Antworten Zeit lassen … wir finden, dass man im 21. Jahrhundert schon erwarten kann, dass innerhalb von Sekunden geantwortet wird. Mittelfristig schwebt uns eine stark gesteigerte Kommunikationsfrequenz vor – ganz so wie im Echtzeit-Handel an der Börse – also im Millisekundentakt.

Damit kommen wir zum Ende unserer Blog-Serie zu WhatsAppartement. Wir hatten beim Schreiben des Artikels eine Menge Spaß daran, nochmal alle WhatsApp Traumata der letzten fünf Jahre zu verarbeiten.

Vielleicht konnten wir Sie ja für ein paar unwichtige Details „begeistern“, oder wir konnten zumindest mit unseren überzogenen Maßnahmen ein paar entgeisternde, ungläubige Blicke Ihrerseits provozieren.

blinkgestalten

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